Das Altarkreuz und die Leuchter

Wer die Jakobikirche betritt, dessen Blick fällt gleich auf den Altar mit seinen beiden Leuchtern und dem Altarkreuz in der Mitte. Geschaffen wurden das Kreuz und die Leuchter von Professor Ernst Riegel, der in Darmstadt Dozent am Lehratelier für angewandte Kunst war. Der Herzogregent Johann-Albrecht hatte sich mit dem Bau der Jakobikirche intensiv beschäftigt. Wahrscheinlich hatte er selber Professor Riegel für die von ihm finanzierte Arbeit vorgeschlagen. Professor Riegel war damals eine der ersten Adressen für Gold- und Silberschmiedekunst, wobei er fast jeden Arbeitsschritt seiner Kunstwerke selber ausgeführt hat.

Riegel war dem Jugendstil zugetan, was sich in unserem Kreuz deutlich zeigt. In dieser Epoche wurden gern byzantinische und ägyptische Motive verwendet, wie hier zum Beispiel im Lendenschurz des Gekreuzigten oder an den vier Kreuzenden in den Einlegearbeiten und den schneckenartigen, labyrinthartigen Verzierungen rund um die wertvollen Halbedelsteine. Auch, dass die Füße des Gekreuzigten auf einem Podest stehen, ist traditionell ostkirchlich gedacht: Christus hat mit seinem Opfer am Kreuz die Sünde besiegt, nun steht er auf dem Thron, den Gott ihm zugedacht hat.

Wichtiger als die Stilelemente selber sind mir mit den Jahren zunehmend die persönlichen Deutungen geworden, die ich mit den verschiedenen Stilelementen verbinde. Jedes kleine Detail, das sich an dem Kreuz entdecken lässt, ist für mich zu einer Aussage, einer Botschaft geworden im Blick auf das Geschehen um Kreuz und Auferstehung Jesu.

Da ist zunächst der Gekreuzigte selber. Die Dornenkrone auf seinem Haupt hat das Leid noch im Blick. Doch zugleich ist deutlich sichtbar, dass das Leid, der Tod nicht das Ende ist. Die Auferstehung, der Triumph über den Tod deutet sich schon in der Haltung des Gekreuzigten an. Und die beiden Strahlenkränze – einer direkt hinter dem Kopf Jesu und ein größerer die Sonne andeutend – machen deutlich sichtbar, dass hier etwas geschieht, was weit über das eigentliche Geschehen hinausweist. Die Sonne, das Licht von Ostern umstrahlt schon den Gekreuzigten und geht vom ihm hinaus in die Welt.

Was im Kreuz geschieht ist für uns Menschen in vielfacher Weise wertvoll. Es geht um Trost im Leid, um Sinn, um Leben, um Hoffnung. Die Halbedelsteine an den Kreuzenden deuten das für mich an. Jeder steht für eine wertvolle Entdeckung, die ich in meinem Leben im Blick auf das Kreuz Jesu machen kann. Umgeben sind die Halbedelsteine jedoch von schneckenförmigen, labyrinthartigen Verzierungen. Sie deuten für mich an, dass der Weg zum Leben, der Weg zu Gott oft verwirrend sein kann. In der Regel ist es selten der gerade Weg, den wir im Leben gehen. Häufiger sind es Irrwege und Umwege, die uns das Leben schwer machen. Zwischendurch sind wir auch mal ganz weit weg von Gott, um dann vielleicht doch irgendwann nach so manchen Umwegen zu ihm zu finden und damit auch zu uns selbst. Solche Momente sind dann wie eine wertvolle Perle, ein Edelstein in unserem Leben.

Das Kreuz selber steht auf einem gewölbten Ständer, in dem sich herzförmige Einlassungen finden lassen. Das Herz ist ein Symbol für die Liebe, hier die Liebe Gottes. Was am Kreuz geschieht – so deute ich – gründet sich in der Liebe Gottes. Aus Liebe zu uns Menschen gibt Gott seinen Sohn ans Kreuz. In ihm überwindet er für uns Leid und Tod, damit wir mit ihm das Leben gewinnen … und das sowohl hier in dieser Welt wie auch in der Welt, wo Gott selber auf uns wartet.

Diese Wahrheit des Kreuzes erschließt sich uns oft nur sehr zögerlich. Manchmal ist es für uns ein langer Weg dahin, diese Liebe Gottes im Glauben zu ergreifen … aber dann werden auch wir von dem Strahlen ergriffen, das von dem Gekreuzigten in der Mitte des Kreuzes ausgeht, Jesus Christus.

In dem Sinne wünsche ich Ihnen eine besinnliche Passions- und Osterzeit … und wenn Sie mal in der Jakobikirche sind, dann kommen Sie ruhig nach vorn zum Altar, um selber aus der Nähe unser wunderschönes Altarkreuz in Augenschein zu nehmen.